Ich hatte bei meiner Damaskusreise 1995 von Freunden den Tipp bekommen, mich an einem privaten islamischen Institut zu bewerben, damit ich dort studieren konnte. Ich ging direkt zum Direktor des Instituts und er fragte mich, woher ich komme. Ich sagte: „Min Almâniyâ“ (aus Deutschland), er aber sagte „lâ, asluk?“ („Nein, deine Abstammung?“). Als ich „turkî“ sagte, machte er eine abweisende Handbewegung und verdeutlichte mir, dass ich gehen solle. Ich verstand nicht und fragte noch einmal nach, doch er sah mich nicht mehr an und machte wieder die gleiche Handbewegung. Noch am selben Tag erfuhr ich, dass er vor einiger Zeit von türkischen Studenten verprügelt worden war und deshalb keine Türken mehr im Institut haben wollte. Einige kamen nämlich unter dem Vorwand nach Syrien, hier studieren zu wollen, betrieben aber eigentlich Wirtschaft. Sie kauften kofferweise T-Shirts oder Tee und verkauften diese in der Türkei weiter. Sie hatten sich, um ein- und ausreisen zu können, an diesem Institut angemeldet, kamen aber nicht oder sehr unregelmäßig zum Unterricht. Der Direktor hatte sie daher aus dem Institut geworfen und sie hatten ihn verprügelt.
Um meine Zeit zu verwerten, ging ich daher jeden Morgen zwischen 5.00 und 7.00 Uhr in den Korankurs einer Moschee, die mir ebenfalls von Freunden empfohlen worden war. Es war die Moschee von Scheich Ramadan al-Buti. Am dritten Tag meines Unterrichts kam ein Mann in die Moschee und setzte sich neben meinen Koranlehrer. Ich grüßte ihn und stellte mich vor. Als er erfuhr, dass ich aus Deutschland gekommen war, um mein Arabisch zu verbessern, wurde er neugierig, machte große Augen und fragte mich lächelnd: „Und wo lernst Du?“ Ich erzählte ihm von dem Vorfall am „Institut für Islamische Scharia“ und er zog eine Visitenkarte aus seiner Hemdtasche, nahm einen Kugelschreiber und schrieb etwas drauf, gab sie mir und sagte: „Gib das dem Direktor und er wird dich aufnehmen!“ Ich konnte meinen Augen nicht trauen und freute mich sehr. Er unterhielt sich dann noch etwas mit meinem Lehrer und verabschiedete sich von uns.
Ich ging noch am selben Tag ins Institut, fand den Direktor erneut an seinem Schreibtisch, grüßte ihn und gab ihm die Visitenkarte. Er fragte mich, was das solle. Ich machte ihm deutlich, dass er die Karte umdrehen sollte. Er drehte sie um und las, was der Mann geschrieben hatte. Das beunruhigte ihn und er geriet etwas aus der Fassung. Nach einigen Sekunden holte er aus einer Schublade ein Formular, nahm meine Daten auf und sagte: „Du bist eingeschrieben, aber lass dich nie wieder bei mir blicken.“ Ich danke ihm und tat ihm die restlichen knapp drei Monate den Gefallen.
Der Mann mit der Visitenkarte war Dr. Tawfiq al-Buti, Sohn des berühmten Rechtsgelehrten Scheich Said Ramadan al-Buti, der am 21. März 2013 in Damaskus, zusammen mit 52 weiteren Personen, durch einen Attentat in einer Moschee ums Leben kam. In diesem Interview erzählt Dr. Tawfiq al-Buti von dem Attentat an seinen Vater, an dem auch sein eigener Sohn ums Leben kam (https://www.youtube.com/watch?v=WYsUPyq2lTs).