Prof. Abdoldjavad Falaturi: „Ali Djan, wo sind meine Schlüssel?“
Prof. Falaturi lernte ich 1995 kennen, als er mit seiner 1973 in Köln gegründeten Islamwissenschaftlichen Akademie (IWA) nach Hamburg umgezogen war, weil die Akademie als An-Institut anerkannt und von der Stiftung der Al-Azhar finanziell gefördert werden sollte. Schließlich war er bereits in den 1960er Jahren als Prof. in Hamburg tätig gewesen und war Mitglied des „Hohen Rates“ (Majlis al-A´la) in Kairo.
Ich war zwar nur eine studentische Hilfskraft, aber er stellte mich überall als seinen wissenschaftlichen Assistenten vor. Als er 1996 verstarb, musste ich die Akademie bis Ende 1997 kommissarisch verwalten. Er war es, der mich motivierte, eine wissenschaftliche Karriere einzuschlagen.
Immer wenn er in die Akademie kam, widmete er sich zielstrebig einer Aufgabe, legte dabei aber immer sein Schlüsselbund irgendwo hin. Da er mit den Gedanken bei einem Fax nach Kairo oder einem Anruf nach Teheran war, konnte er sich nicht mehr an die Stelle erinnern, wo er die Schlüssel zuletzt abgelegt hatte. Oft suchten wir dann mit den Schwestern Pia Köppel oder Mariam Reißmann seine Schlüssel. Also nahm ich mir vor, wenn er zur Arbeit kam, ihn zu verfolgen und zu beobachten, wo er seine Schlüssel ablegte. Wenn er dann vor dem Gehen mit seinen Händen auf seine Jackentaschen schlug und mich fragte: „Ali Djan, wo sind meine Schlüssel?“, ging ich zielstrebig zu der Stelle und zeigte sie ihm. Er warf mir jedesmal einen erstaunten Blick zu gepaart mit Freude.
Er hatte mir einmal folgendes anvertraut: „Ich bin in meinem privaten Leben 12er-Schiit, lehrte aber 42 Jahre lang hanafitisches Recht. Wenn ich in Deutschland einen schiitischen Islam gelehrt hätte, würden viele einen Widerspruch zwischen der gelehrten und der von der Mehrheit der Muslime gelebten Wirklichkeit sehen.“ Seine besondere Haltung, die ihn als interdisziplinär arbeitenden Wissenschaftler auszeichnete, hatte sogar dazu geführt, dass seine Bücher im Iran für eine gewisse Zeit verboten wurden. Den Grund dafür schilderte er mir folgendermaßen: „Ich hatte gesagt, das für mich in der Geschichte des Islam, die interessantesten Persönlichkeiten nach dem Propheten, der Kalif Umar und Abu Hanifa waren.“
Für den interreligiösen Dialog habe ich vor allem von seinem Artikel: „Hermeneutik des Dialogs aus islamischer Sicht (Der Islam im Dialog, Hamburg 1996) profitiert.
Was ich von ihm gelernt habe, war folgende Methode: Er gab mir eine Aufgabe (z.B.: „Lies diesen Artikel von mir und sage mir, ob er Dir gefällt, bevor ich ihn veröffentliche!“) und sagte, wenn Du fertig bist, dann mache uns einen Tee und lass uns darüber sprechen (er trank am liebsten Kamillentee). Wenn ich etwas kritisierte, sagte er niemals: „Du dummer junger Student. Ich war 42 Jahre Professor, jetzt belehre ich Dich mal“, sondern stellte mir eine Frage, damit ich nachdachte. Z.B. stand in einem Text: „Das islamische Glaubenszeugnis lautet »Aschhadu an la ilaha illa Allah wa aschhadu anna Muhammadan rasulullah«“. Ich aber meinte: „Müsste es nicht »…Muhammadan abduhu wa rasuluhu lauten?«“. Er fragte nur: „Wie ist es beim Gebetsruf?“
Diese Methode versuche ich auch heute – so weit wie möglich – anzuwenden, um mein Gegenüber nicht zu belehren, sondern zum Nachdenken anzuregen.