Wir befinden uns in der deutsch-evangelischen Gemeinde in Antalya. Ich bin dort mit einer Gruppe von muslimischen Jugendlichen, die zum ersten Mal eine christliche Gemeinde besuchen und die zum ersten Mal mit einem Christen sprechen werden.
Die Jugendlichen kennen das Christentum aus türkischen Serien und haben einiges über Kreuzritter und Templer gehört. Für sie ist Europa ein christlicher Kontinent und sie wissen, dass es einen Unterschied gibt zwischen griechischen und italienischen Christen. Was man unter „evangelisch“ verstehen soll, wissen sie allerdings nicht.
Wir werden empfangen von einem älteren Herrn, der die Jugendlichen einzeln mit einem kräftigen Händedruck und einem freundlichen „Merhaba“ begrüßt. Sie sollen Herrn Schmitz, der kurz nach seiner Rente von Lippstadt in die Türkei gezogen ist und nun bereits seit 20 Jahren in Antalya lebt ihre Fragen zum Christentum stellen. In Deutschland war er als Geographie und Mathelehrer tätig und ein begeisterter Türkei-Urlauber. Wir haben mit den Jugendlichen Fragen vorbereitet. Herr Schmitz, der auch in Deutschland ehrenamtlich in einer Kirchengemeinde aktiv war, führt die Jugendlichen durch die Räumlichkeiten und zeigt ihnen unter anderem ein Klavier. Er erzählt, dass hier einmal die Woche eine Gruppe ihren Gesangskurs hat. Er zeigt die vielen Gesangbücher im Regal und reicht den Jugendlichen ein solches Buch. Die Jugendlichen sind sich unsicher, ob sie das in die Hand nehmen dürfen und gucken mich fragend an. Ich nicke und sie nehmen es. „Ist das Deutsch?“ fragt jemand neugierig und ich sage „ja“. „Aus diesen Büchern singen wir im Gottesdienst“, erzählt Herr Schmitz. „Sie singen während des Gottesdienstes?“ fragt ein Jugendlicher und kichert etwas verlegen.
In einem Raum gibt es Bilder an den Wänden. Maria und Jesus ist den Jugendlichen ein Begriff. Nun setzen wir uns in einen Stuhlkreis. „Was wollt ihr denn wissen?“, fragt Herr Schmitz. Die Jugendlichen holen ihre Zettel aus den Taschen. Jeder hat eine Frage vorbereitet. Die erste Frage lautet: „Warum bombardieren Christen unsere Länder?“ Herr Schmitz macht große Augen. Mit einer solchen Frage hat er scheinbar nicht gerechnet. „Bevor ich darauf antworte, lasst mich doch erst einmal hören, was für Fragen ihr noch habt. Dann versuche ich eure Fragen zu beantworten“, sagt er. Während ich übersetze, sucht Herr Schmitz nach einem Blatt Papier und einem Kugelschreiber. Als er bereit ist, macht der den Jugendlichen deutlich, dass sie die nächste Frage stellen sollen.
„Stimmt es, dass die Europäer die Türkei nicht in die EU aufnehmen wollen, weil wir muslimisch sind?“
„Ich will wissen, warum ihr eine Statue anbetet“, sagt jemand.
„Glaubt ihr wirklich, dass Jesus Gott ist?“
„Warum hasst ihr die Juden? Und warum habt ihr sie umgebracht?“, fragt ein weiterer Jugendlicher.
„Moment einmal! Soll ich euch nicht von der Bibel, unserer Heiligen Schrift erzählen?“, fragt Herr Schmitz. „Ja, ich habe eine Frage dazu“, „ich auch“, sagen zwei Mädchen. „Stimmt es, dass man eine Frau, wenn sie ihre Menstruation hat, nicht berühren darf?“
„Das ist aus dem Alten Testament“, antwortet Herr Schmitz.
„Und dass der Mann das Haupt der Frau ist?“, will die zweite wissen. „Oder, wenn jemand seine Eltern schlägt, er getötet werden soll?“ „Wo habt ihr das alles her?“, will Herr Schmitz wissen.
„Aus dem Internet“, sagt jemand. „Ach, das Internet“, lacht Herr Schmitz.
„Da steht, dass die Kreuzritter 5. Mio. Muslime getötet haben sollen“, sagt ein Junge. „Der amerikanische Präsident hatte ja auch zum Kreuzzug aufgerufen und dann haben sie den Irak angegriffen. Da sind ja über eine Mio. Zivilisten gestorben.“
„Das erste Atom U-Boot sollen die Amerikaner Jesus Christ benannt haben“, ergänzt jemand. „Das höre ich zum ersten Mal“, sagt Herr Schmitz. „Wollen wir miteinander über das Christentum reden oder über Weltpolitik?“, fragt Herr Schmitz. „Wir leben doch auch als Christen hier seit so vielen Jahren friedlichen mit den Muslimen zusammen. Einige Gemeindemitglieder sind sogar mit Muslimen verheiratet“, sagt er lächelnd.
„Aber es gibt auch viele christliche Missionare in der Türkei“, sagt ein Junge. „Ich habe gelesen, dass sie den armen Muslimen Geld geben, damit sie zu Christen werden.“
„Das sind alles Vorurteile“, verteidigt sich Herr Schmitz. „Oder wollt ihr mir unterstellen, dass ich euch missionieren will?“ „Deutschland ist doch viel reicher als die Türkei. Wieso leben sie dann in der Türkei“, sagt jemand auf eine skeptische Weise. „Weil ich die Türkei liebe. Das Wetter, die Menschen, das Essen. Vieles gefällt mir mehr als in Deutschland“, sagt Herr Schmitz. Während einigen die Antwort gefällt, bleiben andere davon unbeeindruckt.
„Ich habe gelesen, dass in christlichen Ländern Muslime verfolgt werden“, sagt ein Mädchen. „Sie dürfen zum Beispiel keine Moscheen mit Minarett bauen oder zum Gebet rufen. Hier aber läuten die Kirchenglocken. Musliminnen dürfen an französischen Stränden nicht baden oder müssen ihre Kleidung ausziehen. In manchen Ländern dürfen sie nicht helal Schlachten. In Deutschland soll das auch verboten sein“
„Mit dem Christentum hat das doch alles nichts zu tun“, sagt Herr Schmitz leicht aufgeregt.
„In Deutschland mag man uns überhaupt nicht“, sagt ein Junge. „Die meisten sehen in Muslimen Terroristen“. „Nicht nur in Deutschland“ ergänzt jemand und viele nicken dazu.
„Dann lasst mich erst einmal auf die ersten Fragen eingehen“, sagt Herr Schmitz und schaut auf seinen Zettel, wo er die Fragen der Jugendlichen notiert hat…
Die Fragen, die aufgrund von Zeitmangel nicht gestellt werden konnten, werden Herrn Schmitz ausgehändigt, damit er sie später beantworten kann. Darunter sind Fragen wie: „Haben Christen immer noch Pläne für die Rückeroberung Konstantinopels?“ „Warum essen Christen Schwein, obwohl Jesus nie Schwein gegessen hat?“ „Warum lassen sich Christen nicht beschneiden, obwohl Jesus beschnitten war?“ „Warum unterstützen Christen Israel, obwohl es eine Urfeindschaft zwischen Juden und Christen gibt?“ „Warum akzeptieren nicht alle Christen den Papst?“ und „Warum dürfen katholische Priester nicht heiraten?“
Ich frage mich, was wohl Muslime in Europa alles zu hören bekommen, wenn man sie in ihren Moscheen besucht.