Hobby-Muftis: Kopieren ohne zu kapieren
„Wer ohne Wissen handelt, erzeugt mehr Probleme, als er löst.“ (Kalif Umar ibn Abd al-Aziz, gest. 720)
Ein Merkmal für Hobby-Muftis ist, zu kopieren ohne zu kapieren. Denn die häufigste Methode der Hobby-Muftis besteht aus dem Teilen von Web-Links, Koranzitaten, Überlieferungen oder Texten zu Aussagen von muslimischen Gelehrten oder auch von Personen, die sie als solche sehen. Dabei muss man davon ausgehen, dass sie in der Regel, das von ihnen geteilte Wissen, selber nicht verstehen. Denn die verschiedenen Exegese- oder Rechtsmethoden sowie die Beweise, die den Urteilen von echten Gelehrten zugrunde liegen, sind ihnen fremd.
Ein weiteres Merkmal ist, dass ihnen der Kontext, der von ihnen geteilten Inhalte fremd ist. Wer liest denn schon die Biographie eines Gelehrten und seine Werke, um zu verstehen, in welchem Kontext wer was gesagt hat? Sie kopieren z.B. aus dem Kontext gerissene Aussagen aus früheren Zeiten (sehr beliebt ist der Missbrauch des Gelehrten ibn Taimiyya) oder z.B. von Gelehrten aus Saudi Arabien und meinen „Antworten“ auf die Fragen von hier und heute gefunden zu haben. Dabei kann man selbst innerhalb von Deutschland nicht das Bildungssystem von Hamburg nach Bayern übertragen.
Bei dem Versuch, etwas von woanders zur Lösung eigener Fragen zu übertragen, müssen sehr viele Bedingungen beachtet werden. Der Analogieschluss (arab. Qiyâs) als Methode hat z.B. mehrere Bedingungen[1]. Genauso gibt es für das Textverständnis verschiedene Bedingungen. Um z.B. einen Koranvers, eine Überlieferung oder ein Rechtsurteil zu verstehen, muss man neben den sprachlichen Feinheiten (gibt es z.B. einen Unterschied zwischen Fard und Wâdjib oder „lâ yadjûzu“ und harâm? usw.), den historischen Kontext (siehe Offenbarungsanlass bei Versen) sowie die jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen (siehe die religiösen, kulturellen, wirtschaftlichen Aspekte usw.) berücksichtigen.
Dann neigen Hobby-Muftis dazu, einige religiöse Fachbegriffe und Sätze besonders häufig zu verwenden. Diese dienen zur religiösen Legitimierung ihrer Beiträge und sollen den Eindruck erwecken, als wenn sie über Fachkenntnisse verfügten. Dazu gehören Anreden wie „Akhy“ (mein Bruder) oder „Ukhty“ (meine Schwester) und Begriffe wie bid’a, harâm oder Kuffâr. Man nennt das auch die Arabisierung des Islam, wobei der Islam seinem Selbstverständnis nach nicht an eine bestimmte Zeit und an eine bestimmte Kultur (Ort) gebunden ist, sondern Anspruch auf Universalität hat (für alle Menschen und für alle Zeiten). Allah ist „Rabbu l-Âlamîn“ (Sure 1, Vers 1), d.h. der Herr aller Menschen und der Prophet (Friede sei mit ihm) ist entsandt worden als „Rahmatan lil- Âlamîn“ (Sure 21, Vers 107), d.h. als eine Barmherzigkeit für alle Menschen. Die Verwendung solcher Begriffe ist oft szenebedingt.
Oder wer immer nur ganz bestimmte Personen als (einzige) Referenz erwähnt (wie z.B. ibn Taimiyya, al-Albânî, bin Bâz, Uthaymin, oder Fawzân), offenbart damit, welcher Szene er angehört und stellt über diese Verbindungen zu anderen Szenemitgliedern her.
In einer anderen Szene ist es üblich Demokratie ständig als „Kufr-System“ und die Regenten in muslimischen Ländern als „Thâgût“ zu bezeichnen, um wiederum den eigenen Anhängern Hinweise zu geben, zu welcher Szene oder Bewegung man gehört.
In einer anderen Szene fällt man wiederum mit Kleidung (Beispiel grüner Turban) und wieder durch bestimmte Begriffe und Personen als Referenz auf, z.B. wenn man den Zikr (Lobpreisung Gottes) für sehr zentral hält und Personen wie Scheich Nazim oder Zitate von Ar-Rumi teilt. So könnte man die Beispiele aus verschiedenen Szenen innerhalb des Islam fortsetzen.
Islamkundige Personen werden sofort erkennen, welche Merkmale auf die sogenannte Salafi-Szene, welche auf die Hizbu t-Tahrir-Szene und welche auf die Sufi-Szene zutreffen, um nur drei von vielen solcher Szenen zu erwähnen.
Die meisten Anhänger dieser Szenen sind nicht unbedingt islamkundig, so dass sie nicht repräsentativ für die jeweilige Szene sind. Ich spreche in diesem Kontext bewusst von „Szenen“ und nicht von Schulen, Strömungen oder Richtungen, weil es im Facebook-Kontext nicht darum geht, sondern um Personen und Gruppen, die weder den Islam, noch die Sunna, die Schia, die Salafiya oder den Sufismus repräsentieren. Sie spiegeln lediglich bestimmte Aspekte ihrer Szenen wieder. Im Grunde handelt es sich um wenige aktive Personen und dann um eine überschaubare Anzahl von Sympathisanten. Die wahren Gelehrten dieser Szenen sind entweder bereits verstorben (und daher nur noch in Links und Zitaten präsent) oder einfach nicht in sozialen Medien wie z.B. auf Facebook aktiv.
– Wie aber entlarvt man Hobby-Muftis?
Die Methode ist ganz simpel und ich verwende sie so konsequent wie möglich, da man mit Menschen, die glauben zu wissen, es aber im Grunde nicht tun, nicht diskutieren kann. Diskutiert man, kann man nur verlieren. Selbst der Rechtsgelehrte Imâm asch-Schâfii (767-820) soll gesagt haben:
„Wann immer ich mich mit einem Gelehrten gestritten habe, habe ich die Diskussion gewonnen. Wann immer ich mich mit einem Unwissenden gestritten habe, habe ich die Diskussion verloren.“
Daher diskutiere ich nicht, sondern stelle Fragen. An den Reaktionen auf die Fragen merkt man nämlich nicht nur, wie wissend das Gegenüber ist, sondern auch, wie erst sie es mit ihrem Glauben meint. Wer ein ernsthaftes Interesse an seinem Glauben hat, muss auch versuchen, von anderen zu lernen und sich dabei vor allem mit Fragen auseinanderzusetzen, denn eine schöne Frage ist die Hälfte des Wissens. Wissenschaft beginnt immer mit Fragen. Ich frage sie z.B. ob der zitierte Vers „mutlaq“ (eindeutig) ist oder zu den „mutaschâbihât“ (mehrdeutigen Quellen) gehört, ob der Vers „khâss“ (spezifisch) oder „‚âmm“ (allgemein) ist, ob es dazu einen Konsens oder Meinungsverschiedenheiten gibt?
Bei Leuten, die zweideutige Sätze teilen, frage ich nach, wie sie das meinen, woher sie das haben, wie sie darauf kommen usw. Wenn man nämlich anfängt mit Gegenbeweisen, begibt man sich auf einen offenen Schlagabtausch und auf das Niveau des Gegenübers. Oft will das Gegenüber aber gar nicht diskutieren, sondern seine absolute und für ihn unwiderlegbare Wahrheit teilen und alle, die das anders sehen, als Irrgeleitete brandmarken. Wenn bereits in den Äußerungen von jemandem eine eindeutige Überheblichkeit sichtbar ist, muss man sich immer zuerst die Frage stellen, inwieweit eine Diskussion überhaupt möglich ist.
Eine weitere Methode von Facebook-Muftis ist (übrigens auch von selbsternannten „Islam-Experten“), wer zu viel fragt, dessen Kommentare werden gelöscht. D.h. sie haben gar kein ernsthaftes bzw. seriöses Interesse an islamischen Diskursen. Natürlich kann man durch Fragen das Weltbild eines Menschen ins Wanken bringen, vor allem, wenn es sich um junge Menschen ohne Sach- und Fachwissen handelt. Die genannte Entlarvungsmethode kann man auch exakt auf die selbsternannten „Islam-Experten“ anwenden.
Eine besorgte Mutter wollte von mir einen Buchvorschlag für ihren 16 jährigen Sohn haben, der sich seit einem halben Jahr für den Islam interessierte. Als ich ihr das Buch von Osman Nuri Topbaş „Der Islam. Innere Wirklichkeit und äußere Form“ aus dem Regal holte, sagte der Junge: „Nee, solche Bücher lese ich nicht!“ Hat er nun Interesse am Islam oder nicht? Ihm genügten in den vergangen sechs Monaten YouTube-Videos einer ganz bestimmten Person, die bekanntlich noch nicht einmal einen Bachelor im Islam hat.
Eigentlich müsste es nach dem Prinzip gehen: Wer weiß, soll lehren, wer nicht weiß, soll lernen!
Lernen tut man vor allem durch Neugier, Nachdenken, Nachfragen, Lesen, Studieren und Reflektieren. Wer nur nachdenkt ohne nachzulesen, zu fragen und zu studieren, macht es sich zu einfach. Wer nur alleine für sich bleibt oder nur in seiner Szene und sich oder seine Szene für die Welt hält, der dreht sich im Grunde im Kreis; im Kreis seiner eigenen Gedanken und im Kreis seiner Freunde. Das ist weder intelligent noch klug und weise ist das schon gar nicht. Ist also das Internet oder Facebook wirklich ein Ort zu Lernen der Religion? Wenn das so wäre, müssten alle, die täglich für mehrere Stunden das Internet nutzen Theologen oder Wissenschaftler sein. Wie lange bist Du schon im World Wide Web? Und, hast Du nun einen Master in Facebook oder Google?
[1] Im Qiyas spricht man von den vier Arkân (türk. Rükün): Asl, Far‘, Hukm und ‚Illa.