Rassismus, Islamophobie und Ethnizismus
Es ist nur schwer zu ertragen, wie viele Menschen in sozialen Medien Sammelbegriffe verwenden und völlig frei definieren. Mit diesem Beitrag sollen zumindest einige Definitionen geliefert, auf die sich der eine oder andere beziehen kann, wer ein echtes Interesse an einer seriösen und respektvollen Debatte hat.
- Was ist Rassismus?
- Definition nach Albert Memmi
Der Memmi-Definition zufolge müssen vier Kriterien erfüllt sein, damit man von Rassismus sprechen könne: Erstens braucht es die Konstruktion eines Unterschieds, zweitens muss ein wertendes Element vorhanden sein, drittens müssten die Aussagen verallgemeinernd sein und der vierte Aspekt ist die Funktion.
Quelle: Johannes Zuber (2015): Gegenwärtiger Rassismus in Deutschland. Zwischen Biologie und kultureller Identität. Universitätsdrucke Göttingen. S. 57ff.
- Definition nach Robert Miles
Miles warnt vor einer zu starken Erweiterung des Rassismusbegriffs und unterscheidet zwischen dem biologistisch begründeten, auf dem Konzept der ‚Rasse‘ basierenden Rassismus und dem eher kulturell begründeten Rassismusphänomen. Alle kulturellen und sozialen Formen des Rassismusphänomens ohne konkrete Bezugnahme auf das biologische Konstrukt der ‚Rasse‘ verortet Miles als Ethnozentrismus.
Quelle: Johannes Zuber (2015): Gegenwärtiger Rassismus in Deutschland. Zwischen Biologie und kultureller Identität. Universitätsdrucke Göttingen. S. 55ff.
- Definition nach Étienne Balibar
Balibar charakterisiert den Neorassismus der 1980er und 1990er Jahre in Deutschland als rein kulturell begründet und als „Rassismus ohne Rassen“ (siehe dazu auch Stuart Hall). Dieser Rassismus beziehe sich nicht mehr auf die Biologie, sondern auf unterschiedliche Kulturen. Er stelle nicht mehr die Überlegenheit von angeblichen „Rassen“, sondern die Gleichwertigkeit von Menschengruppen oder Kulturen in den Mittelpunkt, indem er die angebliche Unvereinbarkeit von Lebensweisen, Traditionen oder religiösen Metaphern fokussiert.
Quelle: Johannes Zuber (2015): Gegenwärtiger Rassismus in Deutschland. Zwischen Biologie und kultureller Identität. Universitätsdrucke Göttingen. S. 60ff.
- Definition nach Pierre-André Taguieff
Laut Taguieff bestehe die Strategie des diffenrentialistischen Rassismus darin, sich als nicht-rassistisch darzustellen und gleichzeitig eine Legitimation rassistischen Verhaltens zu liefern. Demnach brauche das Rassismuskonstrukt weder den „Rassenbegriff“ noch die „Rassentheorie“. Hier agieren die Kultur als Stellvertreter oder Platzhalter für den Rassenbegriff.
Quelle: Johannes Zuber (2015): Gegenwärtiger Rassismus in Deutschland. Zwischen Biologie und kultureller Identität. Universitätsdrucke Göttingen. S. 60ff.
- Was ist Islamophobie?
Hier drei Definitionsversuche:
- Islamophobie ist eine erfundene Angst oder ein Vorurteil, welches durch existierende eurozentrische und orientalistische globale Herrschaftsstrukturen geschürt wird. Sie richtet sich mittels Aufrechterhaltung und Ausweitung existierender Disparitäten in ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Beziehungen gegen eine vermeintliche oder reale muslimische Gefahr. Dabei rationalisiert sie die Notwendigkeit von Gewaltanwendung als Mittel zur Herstellung einer ‚zivilisatorischen Rehabilitation‘ der anvisierten Gemeinschaft (muslimisch oder nicht). Islamophobie schreibt eine globale rassistische Struktur fort und bestätigt diese zum Erhalt und zum Ausbau ungleicher Ressourcenverteilung.
Quelle: What is Islamophobia? 23.1.2015, http://www.irdproject.com/ [letzter Zugriff 25.03.2016]. Siehe auch: https://irdproject.com/islamophobia-toward-legal-definition-framework/
- Islamophobie ist ein „Vorurteil gegenüber oder Diskriminierung von MuslimInnen aufgrund ihrer Religion oder ihrer angenommenen religiösen, nationalen oder ethnischen Identität, die mit dem Islam assoziiert wird“.
Quelle: The Bridge Initiative, What is Islamophobia? http://bridge.georgetown.edu/what-is-islamophobia/ [letzter Zugriff 14.01.2016]
- Islamophobie ist antimuslimischer Rassismus. Wie auch die Antisemitismusforschung zeigt, verweisen semantische und etymologische Komponenten von Begriffen notwendigerweise nicht auf die vollständige Bedeutung dieser sowie auf ihre Verwendung. So ist es auch im Falle von Islamophobieforschung. Heute wird der Begriff der Islamophobie selbstverständlich in der akademischen Landschaft ebenso wie in der öffentlichen Sphäre verwendet. Kritik an MuslimInnen sowie an der islamischen Religion ist nicht gleichzusetzen mit Islamophobie.
Islamophobie bedeutet, dass eine dominante Gruppe von Menschen Macht erstrebt, stabilisiert und ausweitet, indem sie einen Sündenbock imaginiert, der real existiert oder auch nicht, und diesen Sündenbock von den Ressourcen, Rechten und der Definition eines kollektiven ‚Wir‘ ausschließt. Islamophobie arbeitet mit der Figur einer statischen islamischen Identität, die negativ konnotiert ist und auf die Masse der imaginierten MuslimInnen generalisiert ausgeweitet wird. Gleichzeitig sind islamophobe Bilder fließend und verändern sich in unterschiedlichen Kontexten, denn Islamophobie sagt uns mehr über die Islamophoben aus, als sie uns etwas über ‚den Islam‘ oder ‚die MuslimInnen‘ sagen würde.
Quelle: Farid Hafez, Arbeitsdefinition von Islamophobie, http://jahrbuch-islamophobie.de/islamophobia/, 2015.
- Kritik am Begriff der „Islamophobie“
- Der Terminus „Phobie“ bezieht sich im psycho-pathologischen Sinne auf Krankheitsphänomene, für die niemand verantwortlich zu machen wäre.
- Wenn sich im Zusammenhang mit „natürlichem Fremdenhass“ die mit „Phobie“ assoziierten Begriffe wie Islamophobie konnotativ auf eine naturalistisch-biologische Begründungsebene beziehen, könnte ein jeglicher Rassismus tendenziell als „natürliche Reaktion“ auf das Fremde gesehen werden.
- „Islamophobie“ beinhaltet negativ-ablehnende Einstellungen gegenüber MuslimInnen.
- Die auf eine Menschengruppe bezogene Differenzierungskonstruktion führt nicht zwangsläufig zur negativen Diskriminierung im Sinne eines Neo-Rassismus, sondern erst die Bedeutungskonstruktionen, die zur Hierarchisierung von Menschengruppen innerhalb des Gesellschaftsgefüges und zur Absicherung von Privilegien und Machtinteressen der herrschenden Gruppe herangezogen werden.
Quelle: Naime Çakır (2014): Islamfeindlichkeit. Anatomie eines Feindbildes in Deutschland. Bielefeld, S. 150
- Ist Islamophobie ein neues Phänomen?
- Die Anfeindung und Bekämpfung der Gläubigen und der Propheten hat eine sehr lange Geschichte.
- Viele Propheten wurden von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen (oftmals von den Mächtigen und Reichen) verspottet, vertrieben und teilweise getötet.
- Die ersten Muslime in Mekka haben auch Spott, Boykott, Folter und Vertreibung ertragen müssen. Man hat sie gefürchtet, gehasst und bekämpft.
III. Ethnizismus im Kontext von Islamfeindlichkeit nach Oliver Roy
- „Ethnizismus“ = Semantik der Ungleichheit mit impliziten Vorurteilen und Ressentiments, die (noch) nicht ideologisch im Sinne einer rassistischen Ideologie fixiert sind.
- „Neo-Rassismus“ = Eine Ideologie der Ungleichwertigkeit zum Zwecke der Hierarchisierung und Durchsetzung von Macht, dem der Ethnizismus vorgeschaltet bzw. inhärent ist.
- Die Ethnizität ersetzt die Rasse.
Quelle: Oliver Roy (2006): Der islamische Weg nach Westen. Bonn, S. 129f.
Mögliche Wirkung auf die Betroffenen:
- Identifikation und Abwehr: Die Betroffenen identifizieren sich durch Angriffe viel stärker als vorher mit ihrer kulturellen und religiösen Herkunft.
- Abschwächung: Die Betroffenen distanzieren sich von der Kritik an ihrer Religion und identifizieren sich nur über ihre ethnische Herkunft.
- Assimilationsstrategie: Die Betroffenen übernehmen die Rhetorik ihrer Angreifer und üben dieselbe Kritik an ihrer Religion und Kultur, wie jene, die islam- und fremdenfeindlich eingestellt sind.