Stelle Dir vor, Du bist in Istanbul, der drittgrößten Stadt der Welt mit mehr als 20 Mio. Einwohnern. Du entschließt Dich in den Stadtteil Eyüp zu fahren. Beim Spazierengehen auf dem Weg zum Grab des Dichters Necip Fazıl Kısakürek bemerkst Du, wie Dich jemand fotografiert. Es ist ein Bekannter aus Hamburg. Was für ein Zufall, nicht wahr?
Auf dem Rückweg wiederum begegnest Du Eyüphan, der Deinen Besuch am Wochenende in die theologische Fakultät der Marmara Universität in Istanbul und der theologischen Fakultät in Konya organisiert hatte. Die Überraschung darüber ist riesig groß. Gut, kann ja vorkommen, dass man zwei Bekannten an einem Tag begegnet.
Ein Tag später bist Du im Ägyptischen Bazar (Mısır Çarşısı) in Eminönü und bemerkst ein Paar, das Dich beobachtet. Der junge Mann sagt: „Ali Hodscha, Sie kennen mich nicht, aber ich kenne Sie. Ich bin vor 10 Jahren von Lübeck nach Istanbul gezogen…“ und seine Begleiterin sagt: „Ich kenne Sie auch.“ „Subhanallah“ sagt Du! Etwas später, im großen Bazar von Istanbul, hörst Du hinter Dir jemanden mehrmals „hodscham“ rufen. Es sind drei Jugendliche, die sagen: „Wir waren am Wochenende bei ihrem Vortrag. Wir kommen aus Frankreich und machen gerade eine Studienreise…“
Erst gestern hattest Du zwei überraschende Begegnungen und heute erneut?
Wieder ein Tag später, triffst Du Dich mit Ferit im asiatischen Stadtteil Üsküdar, der letztes Jahr von Dortmund nach Istanbul gezogen ist. Als ihr das Restaurant verlasst, hörst Du beim Vorbeigehen an einem Tisch wieder „hodscham!“. Eine junge Frau steht auf und sagt: „Ali hodscha, ich bin Esra aus Bad Salzuflen…“. Sie studiert nun Jura in Istanbul und kennt mich aus zwei Vorträgen in Bad Salzuflen.
Drei Tage hintereinander, mehrere überraschende Begegnungen. Ich glaube eh nicht an Zufälle.
Auf dem Rückflug sitze ich neben einem Mann, der mich fragt: „Waren Sie einmal auf einer Lehrerfortbildung in Bremerhaven?“. Es ist ein Pastor, der gerade mit seiner Frau vom Istanbul-Urlaub zurückkehrt.
Eine Reise soll laut Koran einem Zweck dienen (siehe Sure 27:69 und 29:20), wie z.B. die Pilgerreise nach Mekka.
Der Zweck meiner Türkeireise war eigentlich wissenschaftlich. Die Reise zum Wissenserwerb (talab al-‚ilm), z.B. für Studienzwecke, gilt im Islam sogar als eine religiöse Pflicht (arab. farîda). Wenn man seine Reise für die Pflege verwandtschaftlicher Beziehungen (arab. silat ar-rahîm) nutzt, ist der Segen umso größer. Denn ich konnte auch Verwandte und Bekannte besuchen.
Die Gebetsrufe, die vielen Moscheebesuche, die spirituelle Atmosphäre und die vielen überraschenden Begegnungen sind Nahrung für die Seele. Mein Kopf ist zwar hier, aber mein Herz sagt: „Wann wirst Du zurückkehren?“ Mustafa Güneşdoğdu, der in Ankara lebt, hat mich in Istanbul angerufen und gesagt, dass er der Religionsbehörde bereits meinen Namen genannt hat. Mal schauen, was sich ergibt.