Auf der Bühne stehen ganz viele Jugendliche mit Fluchterfahrung:
Ein junger Mann aus Bangladesch kommt nach vorne und erzählt seine Geschichte. Klein, dunkelhäutig, ruhig ist er. Er erzählt in nur wenigen Sätzen sein jahrelanges Schicksal. Seit einem Jahr ist er in Deutschland und er kann schon so gut Deutsch, dass er gut verständliche Sätze bilden kann.
Mit vier Jahren hatten ihn seine Eltern auf den Straßen einer Großstadt verloren. Weinend suchte er nach seinen Eltern. Aber er wurde nie gefunden. Eine alte Frau fand das weinende Kind und nahm es bei sich auf. Sie lebte alleine. Sechs Jahre war er bei ihr. Als sie verstarb, weinte er erneut tagelang. Niemand kümmerte sich um ihn. Er erinnert sich nur noch, wie er auf den Straßen lief und irgendwann in einen Zug stieg. Ein Jugendlicher fand den 10-jährigen weinend im Zug. Vier Tage blieb er bei dem jungen Mann, bis dieser ihm einen Job als Tellerwäscher besorgte. Drei Jahre arbeitete er dort, ohne einen Cent dafür zu erhalten. Ein versklavtes Waisenkind war er, bis er irgendwann davonrannte. Wieder in einen Zug, diesmal Richtung Indien. Dort angekommen, Richtung Pakistan. Von Pakistan in den Iran. Vom Iran aus nach Ägypten. Inzwischen waren viele Jahre vergangen. Aus dem Kind war ein junger Mann geworden. Von Ägypten ging es schließlich über Libyen nach Italien. Von Italien nach Deutschland, weil ihm das jemand empfahl. „Ich wusste noch nicht einmal, wo Deutschland lag“, sagt er. Angekommen in Deutschland, gewährte man im Kirchenasyl. Sein Betreuer sagt, dass die Kirche für drei Monate ein Gefängnis der Hoffnung für viele Flüchtlinge wurde. Sie durften ihren Gebäudeteil nicht verlassen, sonst wären sie von der Polizei abgeschoben worden. Nach Italien natürlich, wo der junge Mann aus Bangladesch das erste Mal europäischen Boden unter den Füßen hatte.
Ich kann meine Tränen kaum zurück halten. Da steht er, der stille junge Mann aus Bangladesch. Er hat seine Eltern, seine Heimat verloren. Was für eine Sehnsucht muss er in sich verbergen? Was haben seine Eltern durchlebt oder was durchleben sie bis heute? Und welche Perspektiven hat er ab heute? Wird er bleiben und ein zufriedenes Leben aufbauen oder wird man ihn bei der nächsten Gelegenheit nach Italien zurück schicken und das Leben als Flüchtling findet weiterhin kein Ende?
Ein weiterer junger Mann aus Bangladesch tritt vor. Ein Pastor, der Hindi spricht, kommt zum übersetzen auf die Bühne. Der junge Mann erzählt, dass er der Sohn eines Arztes war. Seine Mutter verstarb, als er sechs Jahre alt war. „Ich wurde zweimal gekidnappt, 2010 und 2012, weil mein Vater politisch aktiv war“, erzählt er. Dieser hatte mehrere Morddrohungen erhalten. Als sein Vater verstirbt, hat er Angst um sein Leben. Er flieht. Über Indien, Pakistan, den Iran in die Türkei. Von dort geht es weiter nach Griechenland. Dort ist er drei Jahre, zwei Jahre davon im Gefängnis. Heute ist er in Deutschland, aber wird er bleiben können?
Auch afghanische Jugendliche kommen nach vorne, ein Iraner, ein Kurde aus Syrien und erzählen ihre Geschichten von Krieg, Angst, Zerstörung, Flucht und Sehnsucht nach den Verwandten und der Heimat. Der Kurde erzählt, dass seine größte Freude, der Besuch der Schule gewesen sei. Assads Soldaten hätten aber alles zerstört, auch sein Schule.
Dann kommt ein 28 jähriger Mann aus Eritrea. Er ist das Kind eines katholischen Vaters und einer protestantischen Mutter. Er hat ein Studium als Bauingenieur abgeschlossen und hat auch eine Ausbildung als Gärtner. Aber er soll sein restliches Leben im Militär dienen. Er flieht! Erst ganz alleine über die Grenze zum Sudan. Von dort geht es nach Ägypten. In der Wüste nach Libyen werden sie von Beduinen überfallen und einige aus der Gruppe werden entführt. Die Entführten, die nicht genug Lösegeld zahlen können, werden an Ärzte verkauft, die den Flüchtlingen die Organe entnehmen, erzählt er. Er aber kann den Beduinen entkommen. Mit einer Gruppe von ca. 85 Personen geht es nach Libyen. In der Wüste sind sie knapp einen Monat unterwegs. Sie verfahren sich. Ihre Vorräte gehen aus. Er sieht, wie einige Flüchtlinge vor seinen Augen sterben. Von Libyen aus geht es über das Mittelmeer nach Italien. Heute ist auch er in Deutschland.
Ich möchte niemanden belehren. Aber als ich diese Geschichten hörte, wobei sie noch nicht einmal 1% des Leids dieser Menschen darstellen, habe ich noch einmal den Frieden, den Wohlstand, die Freiheit, das Leben, das wir leben dürfen, überdenken und wertschätzen können. Das lehren uns manchmal Kriege, Bürgerkriege, Diktaturen, Armut, Angst, Sklaverei, Flucht, Sehnsucht, Tod und das Überleben anderer Menschen, die alle dieselben Rechte wie wir auf das Leben haben!