Liebe Freunde,
ein Bild ging durch die Medien, mit Titeln wie „Ein Foto erschüttert die Welt“. Ich nehme jedoch keine Erschütterung wahr. Während wir in der Schule lernten, wie Europa verherrlicht wurde als Ausgangsort der Aufklärung, der Menschenrechte und der Demokratie, die sie auch gerne in andere Regionen der Welt exportieren möchte – und falls nötig mit Gewalt -, erleben wir im wahren Leben ein anderes Europa. Ein Europa, das massenweise Waffen produziert und exportiert, Kriege in aller Welt fördert und sich wundert, wenn die Opfer dieser Kriege nun nach Europa kommen. Wir erleben ein Europa, dass sich abschottet und versucht, mit allen Mitteln, die fette Beute des Kolonialzeitalters nicht mit den Enkeln der Eigentümer zu teilen. Ein ängstliches Europa, dass sich ärmer und kleiner gibt, als es in Wirklichkeit ist. Ein Europa, das überfordert ist, wenn es hart auf hart kommt.
Das schöne Mittelmeer, einst Symbol für einen blühenden Tourismus, ist zu einem europäischen Friedhof geworden, in dem man massenhaft Menschen ertrinken lässt.
Anlass für diesen Beitrag war für mich das Bild eines kleinen Kindes, dass an der Ägäis Küste gefunden wurde. Ich weiß, es gibt noch viele andere mehr, aber ich konnte mir dieses Bild nicht länger als zwei Sekunden ansehen. Wie ertragen das nur die Helfer, frage ich mich. Ich habe das Bild bearbeitet, und selbst der Blick auf die kleinen Füße dieses kleinen Engels, stimmen mich mehr als nur traurig.
Mit meinem Beitrag möchte ich eine Bitte an euch richten. Oft werden solche Bilder gepostet oder geteilt. Nun, dieses Bild wurde bereits mehrmals veröffentlicht. Meine bitte lautet, bitte postet oder teilt nicht die (teilweise entblößten) Bilder von verstorbenen, gefolterten oder ermordeten Menschen. Ihr entwürdigt sie damit und tut ihren Hinterbliebenen keinen Gefallen damit.
Ich habe während meiner Syrienaufenthalte 1993, 1994 und 1995 Bilder vom Bosnienkrieg gesehen, die die hiesigen Medien niemals zeigen würden. Menschen, deren Köpfe von Panzern überrollt wurden, Menschen, denen Körperteile zerfetzt wurden… Was aber müssen ihre Familien und Freunde empfinden, wenn sie diese Bilder sehen? Wer will sehen, wie sein eigener Sohn gefoltert wird? Wer würde selbst wollen, dass man seine Folterung öffentlich auf YouTube sehen kann? Diese Menschen haben eine Würde! Bitte, verletzt sie nicht!
Meine muslimischen Geschwister möchte ich zu mehr Barmherzigkeit, meine jüdischen und christlichen Dialogpartner zu mehr Nächstenliebe, meine atheistischen Dialogpartner zu mehr Humanismus einladen, damit unser armes, kleines Europa größer und großzügiger sein kann. Am Ende können wir alle nur davon profitieren.
Die mehreren hundert blauen Säcke, gefüllt mit Kleidern, Haushaltsgeräten, Spielzeug u.v.m., die wir monatelang in die Flüchtlingsunterkunft in der Schnackenburgallee (Hamburg) gebracht haben, waren nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber sie haben diesen Menschen Mut gemacht und gezeigt, dass sie nicht alleine sind. Und wer diese Menschen einmal kennenlernt, wird erkennen: Wir sind nicht besser als sie und sie nicht schlechter als wir. Durch sie lernen wir aber mehr Menschlichkeit. Wir lernen unsere Freiheit und den Frieden mehr denn je schätzen.
Schande über jene, die bisher noch nichts unternommen haben!
Ich hoffe, dass sich die Flüchtlingspolitik Europas in den kommenden Jahren rasch zum Besseren entwickeln wird. Solange wird dieses Bild für mich „das Symbol europäischer Flüchtlingspolitik“ bleiben.