Die Trichter-Methode bzw. „Engführungen“
- Wie backt man einen Kuchen?
Der „Fünf Zutaten Blitz Kuchen“: 300g Mehl, 1/4 Liter Sahne, 250g Puderzucker, 3 Eier, 1 Packung Backpulver.
- Wie backt man Scharia?
Drastische Körperstrafen, Steinigung von Ehebrecherinnen und den Dieben die Hände abhacken. So zumindest in der medialen Engführung.
Die mediale Engführung komplexer Themen führt nicht zur Aufklärung, sondern zu Ängsten und Hass und wir Muslime sagen zurecht, das ist oberflächlich, pauschal, klischeehaft usw.
Schließlich besteht der Islam aus mehreren „Zutaten“, z.B. aus einer diesseitigen und einer jenseitigen Dimension, einer Glaubenslehre sowie aus Recht(spraxis) und Ethik. Darunter sind Themen, über die Konsens herrscht und Themen, über die Meinungsverschiedenheiten herrschen. Durch Rechtsgutachten (Fatâwâ) und die Weiterentwicklung (Idjtihâd) der Scharia gewinnen wir immer mehr und tiefere Erkenntnisse über die Quellen und die menschliche Natur. Wenn wir den Islam jedoch nur auf eine bestimmte Epoche, Generation und einen bestimmten Kulturraum beschränken, würden wir in einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort oder bei bestimmten Themen stehenbleiben.
Wenn wir die Engführung des Islam bzw. komplexer Themen durch Nichtmuslime kritisieren, wieso neigen wir dann selbst auch dazu? Eine ideologische Engführung etwa, schränkt den Islam ebenso ein, wie die mediale Engführung. Einheit (siehe z. B. Sure 112), Selbsterkenntnis (unter anderem sich als „Statthalter Gottes“ zu erkennen = Schöpfungsgrund, siehe Sure 51,56: وَمَا خَلَقْتُ الْجِنَّ وَالإِنسَ إِلاَّ لِيَعْبُدُونِ) und Gotteserkenntnis (Existieren, um seinem Schöpfer zu dienen = Schöpfungsziel, siehe z.B. Sure 2,30: إِنِّى جَاعِلٌ فِى ٱلأَرْضِ خَلِيفَةً), als die Kernziele des Islam, (siehe die maqāsid asch-Scharia) sowie das Allgemeinwohl (maslaha), geraten dabei in den Hintergrund oder völlig in Vergessenheit.
Stellen wir uns einen Trichter vor, der eine weite Öffnung und einen engen Ausgang hat. Islam ist alles, was oben in den Trichter hinein kommt: Koran, Sunna, Ethik, Recht, seine historische Dimension, Gottesdienste (al-ʿibādāt), zwischenmenschliche Beziehungen (al-muʿāmalāt), wie Ehe-, Erb-, Straf-, Minderheiten-, Kriegsrecht u. v. m.
Wenn am Ende nicht dasselbe herauskommt, wie das, was in den Trichter hinein kam, dann kann das Ergebnis nicht Islam sein, sondern entweder ein Bruchteil dessen oder vielleicht sogar eine Missdeutung. Wenn man z. B. mit einem Spritzbeutel eine Torte verzieren möchte, dann möchte man doch auch, dass am Ende das herauskommt, was man zuvor hineingetan hat?
Gegner des Islam sagen nicht selten „der Islam ist…“ oder „im Islam ist…“ und kommen dann zu einfachen, eindeutigen und oft negativen Schlussfolgerungen. Das Hauptproblem dabei ist m.E. die selektive Wahrnehmung. Aber auch wenn wir nicht religiös oder wissenschaftlich, sondern ideologisch motiviert sind, benutzen wir exakt dieselbe Methode, indem wir unsere Version als die einzige propagieren.
Jetzt drehen wir den Trichter einmal um. Der enge Ausgang ist nicht „der Islam“, sondern unsere individuelle Wahrnehmung. Im Grunde ist unser Wissen sehr eng, der Islam wiederum ist sehr vielfältig. Seine Geschichte geht zurück bis auf Adam (a.s.), bekommt eine entscheidende Bedeutung mit Abraham (a.s.) und seine Krönung mit dem Propheten Muhammad ﷺ. Gelehrte entwickelten schließlich Methoden zu einem besseren Verständnis der Quellen sowie für die Praxis. So wie ein malikitischer Marrokaner Muslim ist, ist ein hanafitischer Bosnier auch Muslim. So wie ein amerikanischer Sufi Muslim ist, ist ein deutscher Salafi Muslim. Sind sie jedoch alle gleich? Nein! Was aber verbindet sie alle? Das ist die Kernfrage, um die es geht. Auch in der natürlichen Differenz, sind sie alle Muslime.
Wer jedoch den Trichter (Islam) selbst einengt, wie in der Ausgangslage, macht aus dem Islam, der eigentlich einem Ozean gleich ist (siehe Sure 18:109), macht aus dem Ozean einen kleinen Wasserstrahl.
Nichtmuslime, die den Islam nicht kennen, die weder Arabisch beherrschen , noch den Koran oder eine Prophetenbiographie gelesen haben und keinen Dialog mit Muslimen pflegen, kann ich in ihrem Unwissen und in ihren Ängsten durchaus verstehen. Sie haben keinen Zugang zum Islam als Religion, sondern auf ein verkürztes und verzerrtes Bild. Sie können den Geist des Islam nicht nachvollziehen, so wie auch mir z. B. das Christentum (das übrigens auch sehr vielfältig ist) in seinem Geiste fremd ist, auch wenn ich seit über 40 Jahren in einer vom evangelischen Christentum geprägten Gesellschaft lebe, Religionswissenschaften studiert, die Bibel gelesen und christliche Freunde habe.
Mit anderen Worten, der Islam ist viel mehr, als wir mit unseren beschränkten Möglichkeiten wahrnehmen könnten. Daher sollten wir uns unseres Trichters bewusst sein. Vielleicht hilft uns das zu mehr Bescheidenheit, wenn wir dazu neigen, mit unseren bescheidenen Möglichkeiten absolute Urteile zu fällen.