Wir befinden uns im Jahre 1989. Kein 11. September, kein „Salafismus“, kein „IS“, kein Erdoğan.
Ich hatte in der Oberstufe einen Deutschlehrer. Seinen Namen schreibe ich lieber in den Wind als hier auf. Ich hoffe, er ist in Frührente gegangen, um die nachfolgenden Schülergenerationen zu verschonen. Dieser Lehrer war wirklich der Schlimmste von allen. Wenn er mich doch nur geschlagen hätte. Aber nein, seine Schläge waren psychischer Natur.
Da habe ich diesen Mann seit der 7. Klasse im Unterricht und komme nicht hinter das Geheimnis seiner Notengebung, bis schließlich Folgendes passierte:
Süreyya war eine türkische Mitschülerin gewesen, der er in Deutsch eine 5 gab, Steffi dagegen eine 4. Er begründete Steffi gegenüber sein Urteil folgendermaßen: „Da du in diesem Halbjahr so oft gefehlt hast und fast nie deine Hausaufgaben hattest, kann ich dir nur eine 4 geben.“
Merkwürdig war nur, dass Süreyya nie gefehlt und immer ihre Hausaufgaben gemacht hatte. Ich sagte dem Lehrer: „Süreyya hat nie gefehlt und immer ihre Hausaufgaben gemacht. Wie kann es dann sein, dass Steffi eine 4 bekommt und Süreyya eine 5?“ Seine Antwort war klar und deutlich: „ABER ICH KANN EINER TÜRKIN DOCH KEINE BESSERE NOTE GEBEN ALS EINER DEUTSCHEN.“ Ich sagte auf meine restlichen Klassenkameraden blickend: „Wie bitte? Habt ihr das gehört?“ Woraufhin er noch einmal betonte: „Aber ein Türke kann nicht so gut sein wie ein Deutscher!“
Geht man also nach seiner Logik (hier kann von Logik eigentlich keine Rede sein), musste der beste türkische Schüler eine schlechtere Note bekommen als der schlechteste deutsche Schüler. Als ich dies der stellvertretenden Schulleiterin, die ich auf dem Flur getroffen hatte, erzählte, sah sie sichtlich schockiert und nachdenklich an mir vorbei. Ich fragte sie: „Und, was gedenken Sie zu tun?“ Doch sie ging schweigend an mir vorbei. Konsequenzen gab es keine.
In Philosophie traf es mich ähnlich wie Süreyya in Deutsch. Der gleiche Lehrer fragte der Reihe nach die Schüler nach ihrer Selbsteinschätzung. Als er mich fragte, sagte ich 13 Punkte, das wäre ein 1-. Da sagte er lachend: „Also nein. Da liegst du völlig daneben. Ich dachte da eher an 6 Punkte.“ (also eine 4+). Ich sagte: „Wie bitte?“ Gut, die Diskussion brachte nichts. Als wir hinausgingen, meinte Tim nur ungläubig: „Ich habe mich dieses Halbjahr nur ein einziges Mal gemeldet und er hat mir 13 Punkte gegeben und du warst einer der Besten und kriegst nur 6 Punkte?“ „Danke Tim, dass Du Dich in der Klasse für mich eingesetzt hast“, sagte ich ironisch.
Das war derselbe Lehrer, der mir in der 6. Klasse in Kunst von einer 2 auf eine 5 verhalf. Und es ist derselbe Lehrer, der in der 12. Klasse im Religionsunterricht behauptete, der Prophet Muhammad (ﷺ) sei der Gott der Muslime. Was soll ich da noch hinzufügen? Wenigstens habe ich bei ihm, wenn auch relativ spät, den Grund für seine unbegreifliche Bewertung seiner Schüler erfahren können: Er urteilte nicht nach Leistung, sondern nach Herkunft.
Heute kann ich darüber lachen, denn es hat meiner Karriere nicht geschadet.