Al-Maslaha, oder, wie vom medinensischen Rechtsgelehrten Anas ibn al-Mâlik (715-795) überliefert, „as-sâlih al-‘âmm“, gibt man zu Deutsch mit „Interesse“ bzw. „allgemeinem Interesse“ wieder. Der Gelehrte Al-Ghazzâlî (gest. 1111) definiert „as-sâlih al-‘âmm“ in seinem Werk Al-Mustasfâ (Al-Mustasfâ min ´ilm al-usûl. Übersetzt von Ahmad Zaki Mansur Hammad. Chicago 1987) als ein Prinzip, wodurch des Menschen Glaube, Leben, Verstand, Nachkommenschaft und Hab und Gut geschützt wird. Das bedeutet, dass alles, was im Interesse der Bewahrung der Religion, des Schutzes des Lebens, der Förderung des Geistes, der Erhaltung der Nachkommenschaft und Bewahrens des Besitztums der Menschen ist, eine gesetzgeberische Kraft besitzt. Al-Maslaha ist somit bereits Anlass zur neuen Gesetzgebung (vor allem dort, wo das öffentliche Leben betroffen ist), Anlass zur freien Handhabung bezüglich der Anwendung der bestehenden Gesetze und schließlich Anlass zur Aussetzung eines koranischen Gesetzes, wenn es aus klaren, einsichtigen Gründen nicht dem Allgemeinwohl entspricht (vgl. Falaturi, Abdoldjavad: Die Šari´a – Das islamische Rechtssystem. In: Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (Hg.). Weltmacht Islam. München 1988, S. 93-113.).
Das obige Zitat „wodurch des Menschen Glaube, Leben, Verstand, Nachkommenschaft und Hab und Gut geschützt wird“ wurde später ausgebaut zu den „Maqâsid asch-Scharî´a“ (Ziele der ethisch-rechtlichen Normenlehre des Islam).
Gerade im Bereich der „Rechtsphilosophie“ ist die islamische Zivilisation besonders stark, zumal bei den Maqâsid die Gelehrten al-Ghazzâlî, Ibn Taimîya (1263-1328) und asch-Schâtibî (gest. 1388; siehe Al-Raysuni: Imam Al-Shatibi’s Theory of the Higher Objectives and Intents of Islamic Law. London 2005) Hand in Hand arbeiten.
„Mit dem Begriff »Menschen« sind keineswegs nur die Muslime gemeint, sondern alle Menschen, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Nationalität, ihrer Hautfarbe, ihrem Glauben oder ihrer Sprache, da sie nach dem islamischen Glauben als Kinder Adams zusammengehören; daraus entsteht für die Muslime eine besondere Verpflichtung gegenüber der Menschheit“ (vgl. Ibrahim, Mohamed: Maqasid al Scharia. Marburg o.J., S. 4).